Sammelsurium

Gespräche in der realen, virtuellen, imaginären Welt mit Erwachsenen, Kindern und anderen Wesen.

Brötchen


„Viele Männer können nicht locker über ihre Gefühle reden.“

„Also, ich bin ein Mann und kann das schon.“

„Ach, wirklich? Also los, was fühlen Sie gerade?“

„Ich fühle gerade, dass das letzte Brötchen sich eindeutig zu mir hingezogen fühlt!“


„Und ich fühle gerade, dass Sie sich die nächsten Tage Ihre Mahlzeiten selbst zubereiten können.“

*Frau Müller zerbröselt dabei gefühlvoll das letzte Brötchen.

Inneres Leuchten


„So wenig Sonne im Winter. Ich nehme jetzt Vitamin D3 Tabletten.“

„Deswegen strahlen Sie so von Innen, Frau Müller!“

„Wollen Sie irgendwas Bestimmtes von mir? Oder haben Sie was angestellt und wollen beichten?“

„Wie kommen Sie denn darauf? Kann ich Ihnen nicht einfach nur mal ein Kompliment vor die Füße legen?“

„Nö. Erstens können Sie durch all meine Fettschichten hindurch gar nichts von meinem inneren Leuchten erkennen und zweitens liegt es nicht in Ihrer Art, vor dem Frühstück Nettes in den Raum zu werfen. Also, was ist los?“

„Gar nichts ist los!“

„Wenn ein Mann dies in diesem Ton sagt, dann schrillen bei mir alle Alarmsirenen. Also?“

„Sie sind nervig, Frau Müller! Aber gut, es gäbe da so eine Kleinigkeit.“

„???“

„Ich habe Ihnen ein Weihnachtsgeschenk besorgt.“

„Sie haben was? Gegen unsere Absprachen? Sie spinnen doch! Und riskieren Ihr Leben!“

Na ja, aber.“

„Geben Sie es schon her, noch ist nicht Weihnachten. Also können Sie sich vor meinem Unmut gerade noch retten.“

„Aber!“

„Nix ist mit Aber. Her damit!“



„Oh, das ist ja sooooo süß! Sie kleiner Schlingel, Sie! Einfach so, ganz ohne Grund. Sie sind so lieb!“

„Jetzt strahlen Sie aber wirklich, Frau Müller!“

Nett


„Was murmeln Sie eigentlich die ganze Zeit vor sich hin? Sprechen Sie mit der Kaffeemaschine? Oder gar mit sich selbst?“

„Ich murmle nicht. Ich führe ein interessantes Gespräch.“

„Mit sich selbst? Sie werden alt, Frau Müller.“

„Nun, da die Beziehung mit einem selber die Grundlage für alle anderen Beziehungen ist, kann man schon, in Ermangelung eines kompetenten Gegenübers, ab und an mit sich selbst tiefgründige Gespräche führen. Es erheitert und nährt die Seele.“

„Das war jetzt nicht nett, Frau Müller. Das mit der Ermangelung. Das trifft mich tief.“

„Nett? Ich bin niemals nett. Allein diesen Begriff als ein Attribut meiner Persönlichkeit auch nur anzudenken, disqualifiziert Sie als kompetentes Gegenüber. Nett ist vielleicht der Hausmeister, wenn er die Glühbirne für mich im Flur eindreht. Obwohl das auch da nicht passt, denn es gehört ja zu seinem Job. Nett. Igggiiittt. Das fällt so in die Kategorie Er-hat-sich-stets-bemüht. Nett ist Mittelmäßigkeit pur. Ich will nicht nett sein.“

„Ist ja gut. Ich habe es verstanden. Kann ich jetzt endlich meinen Kaffee bekommen?“

„Gleich, ich muss erst noch das Gespräch zu Ende führen, das Sie ja gerade willkürlich unterbrochen haben. Es wäre unfreundlich so mitten drin einfach aufzuhören. Also gedulden Sie sich bitte noch einen Moment. Sie könnten ja in der Zwischenzeit schon den Toaster anwerfen. Das wäre nett.“

Gewichtiges


"Ich bin total erkältet. Zum zweiten Mal hintereinander. Hatte die Nacht über Fieber und fühle mich wie unter Wasser, alles gedämpft und wattig."

"Frau Müller, die Welt brennt und Sie jammern öffentlich rum wegen ein bissl Schnupfen?!"

"Ja, es sind oft die kleinen Dinge, die zwickenden, individuellen Befindlichkeitsstörungen, die schon so manchen Krieg entfesselt und manche tödliche politische Entscheidung beeinflusst haben. Es ging nur nicht in die Geschichtsschreibung ein. Das wäre einfach zu menschelnd banal."

"Sie haben einen Knall, Frau Müller."

"Ne, eine Erkältung."

Abgenervt


"Wie sind Sie denn heute drauf, Frau Müller?!"

"Unfair, ungerecht, gereizt, abgenervt, zynisch, ... ... ."

"Okay, okay, ich habe es verstanden."

"Verstanden? Sie habe gar nichts verstanden! Denn wenn auch nur ein Hauch von Verständnis durch Ihren alten Kopf flüstern würde, dann wäre meine Kaffeetasse schon voll, das Brötchen geschmiert, der Einkaufszettel vollständig und! Sie würden nicht so dämliche Fragen stellen!"

"Möchten Madame vielleicht, dass ich ihr Brötchen mit Ehrerbietung vorher einspeichle?"

"Sie spielen gerade mit Ihrer körperlichen Unversehrtheit, Sir! Ich höre das hauchdünne Eis unter Ihren Füßen schon vorfreudig knistern."

Babypause


„Wo ist eigentlich die junge Frau, die immer so freundlich beim Bäcker bediente?“
„Die macht Babypause.“
„Baby was?“
„Babypause.“
„Sie wissen schon, was eine Pause ist, oder?“
„Natürlich.“
„Und das bringen Sie tatsächlich in einen sprachlichen Zusammenhang mit der Versorgung eines Babys?“
„Ähm.“
„Genau. Sie hatten wohl damals sehr wenig damit zu tun.“
„Ich war ein toller Vater, Frau Müller!“
„Jupp, in den Pausen nehme ich an.“



Pause: Unterbrechung einer Tätigkeit. Synonyme -> Ruhezeit, Unterbrechung, Rast
Sprache macht etwas mit unserem Bild von Welt.

Deswegen


„Wie kann man denn über so banale Dinge schreiben, wie den ersten Schnee, das Zahnen des Kleinkindes, die Freude über eine Postkarte, den Genuss des ersten Schluckes Kaffee in frühen Morgenstunden, das Plappern der Spatzen im Vogelhaus und ähnliche Dinge, wenn da draußen Kriege toben, Menschen verhungern, ersaufen, niedergemetzelt werden,  unter bestialischen Arbeitsbedingungen schuften, an Einsamkeit sterben?“

„Deswegen, genau deswegen. Ressourcen schaffen, aufladen. Es sind die vorgeblich kleinen Dinge, die uns nähren um der äußeren Kälte zu trotzen. Die täglichen Freuden, die Zärtlichkeiten in unserem Blick auf Welt, der liebevolle und liebende Umgang mit uns und all den Facetten unserer realen, hautnahen Umwelt sind das Bollwerk gegen all den Hass, den Schmerz, die Verzweiflung. Wie sonst sollte Hoffnung überleben und weiter getragen werden?“

Nichts geschafft


Frau: „Ich habe in den 38 Jahren meines Lebens ja bisher so gar nichts auf die Reihe bekommen!“

Ich: „Stimmt. Du bist von Drogen abhängig, sitzt im Knast, schlägst und misshandelst deine Kinder, die völlig asozial und verwahrlost sind, lebst mit einem prügelnden Ehemann zusammen, bist obdachlos, ausbildungslos, lügst und betrügst und liegst allen Leuten nur auf der Tasche.“

Frau: „Hey, spinnst du! Das bin ich alles nicht! Ich nehme keine Drogen, bin noch nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, ich liebe meine Kinder und bin und war nie gewalttätig ihnen gegenüber, sie sind sozial engagiert und haben ein glückliches Leben, den gewalttätigen Kerl habe ich schon vor langer Zeit verlassen, habe eine schöne, kleine Wohnung und einen passablen Job, von dem ich leben kann. Ich lüge und betrüge nicht und liege niemanden auf der Tasche! “

„Ach?! Nun, dann scheinst du doch sehr viel in deinem Leben auf die Reihe bekommen zu haben, oder? Also, worum geht es dir eigentlich? Was bedrückt dich?“

Warum nur kriecht das Selbstbewusstsein so vieler toller und taffer Frauen immer wieder unter der Teppichkante entlang?

Kleines Päckchen


"Öl wird teurer."
"Ja."
"Benzin wird teurer."
"Ja."
"Flüge werden teurer."
"Ja."
"Na, Begeisterung sieht aber anders aus!"
"Klimaschutz auch."

Teller leer essen


„Egal ob zu Hause oder im Kindergarten oder sonst wo gilt: Kinder müssen ihren Teller nicht leer essen, wenn sie das nicht wollen! Der Druck, der da oft von Eltern oder sonstigen Bezugspersonen ausgeübt wird, ist traumatisierend.“

„Mit traumatisierend übertreiben Sie jetzt aber, Frau Müller!“

„Ganz bestimmt nicht. Ich bin bis heute absolut essgestört und albträume ab und an immer noch von der Situation, dass ich oft bis abends vor meinem Teller sitzen bleiben müsse. Die Gerüche, die Farben, die Konsistenz der damaligen Lebensmittel triggern mich immer wieder aufs Neue. Ich kann damit umgehen, kann es reflektieren und zuordnen, letztendlich bleibt die Störung jedoch als grundlegendes Muster vorhanden und macht sich wieder und wieder bemerkbar. Es belastet und schränkt die Lebensqualität ein.“

„Nun ja, ein Einzelfall.“

„Sind Sie deppert?! Ich würde doch nicht darüber reden, wenn ich nicht so viele Menschen im Laufe meines Lebens mit dem gleichen Problemkreis kennengelernt hätte. Kein Einzelfall, so gar nicht! Im Gegenteil.“

Win-Win


"Wenn Sie auf einmal viel Geld hätten, was würden Sie tun, Frau Müller?"

"Ich würde ab sofort Coaching und Therapie für 2 Euro die Stunde anbieten."

"Warum denn dann nicht gleich ganz umsonst?"

"Der Akt der Bezahlung ist für das Setting äußerst wichtig. Ich bin nicht Freund, Freundin, Mutter, Vater, Oma, Opa, Chef, Chefin, Nachbar, Nachbarin, Partner oder Partnerin. Ich bin die Therapeutin. Der Zahlungsakt manifestiert dies. Er hilft bei der Wahrung der obligatorischen Distanz auf meiner Seite und bei der Annahme und Auflösung der Übertragssituation auf der anderen Seite."

"Und dafür langen 2 Euro?"

"Dafür würde auch 1 Cent reichen. Dem Bewusstsein und schon gar dem Unterbewusstsein ist der reale Tauschwert des Geldes schnuppe. Es geht um den Akt an sich."

"Aber dann würden Sie ja gar nichts mehr verdienen, Frau Müller!"

"Materiell gesehen nicht. Aber wir gingen ja auch davon aus, dass ich hier abgesichert wäre. Und immateriell ist die Zusammenarbeit mit mir immer eine Win-Win Situation. Daran würde sich ja nichts ändern."

Wille


"Kind, ich habe jetzt keine Zeit für dich."

"Ich muss aber jetzt bei dir sein, Oma."

(Leidender Blick und schiere Verzweiflung in der Stimme.)

"Ach, warum denn das?"

"Weil ich will! Da kann man gar nichts gegen machen."

Tiefkühltruhe

„Oma.“
„Ja.“
„Omaaaa.“
„Hmmm“
„Ich esse jetzt ein Eis.“
„Mach mal.“
Oma, willst du auch ein Eis?“
„Nein, ist mir zu kalt für.“
„Ja, es liegt ja auch in der Gefriertruhe.“
„Hm.“
„Das Eis.“
„Hm.“
„In der Gefriertruhe ist Licht.“
„Hm.“
„Im Zimmer, da wo die Gefriertruhe steht, da ist kein Licht.“
„Hm.“
„Es könnte ein Marder im Zimmer sein. So ein gaaaanz großer Marder.“
„Hm.“
„Oder etwas viel Größeres. Marder sind gefährlich. Etwas Größeres ist noch viel, viel gefährlicher.“
„Kind, wollen wir gemeinsam rüber gehen und dir ein Eis aus der Gefriertruhe holen?“
„Ja!“

Ein Strahlen huscht über ihr Gesichtchen und die Sonne geht auf. 

Tanzen

"Die Mama tanzt auch."

"Aber Oma, mein Tanzen ist viel schwieriger. Das können nur Kinder. Mama kann das nicht. Und du auch nicht."

"Na ja, Erwachsene können auch tanzen. Ist nur anders."

"Oma, ich wachse doch. Ich bin g e w a c h s e n!"

"Ja klar bist du gewachsen. Ich meine aber Erwachsene. So wie deine Tanzlehrerin."

"Die kann aber nicht tanzen. Die ist doch kein Kind!"

"Ja, sie tanzt eben wie eine Erwachsene."

"Hab ich doch gesagt. Die kann nicht tanzen. Das können nur Kinder. Weil es sooooo schwierig ist. Sie wächst ja auch nicht mehr."

"Erwachsene wachsen auch. Mehr innerlich, weißt du."

Sie denkt nach. Es qualmt quasi.

"Deswegen bist du so dick, Oma?"

Schubladen


„Oma, erst war ich ein Baby, jetzt bin ich ein Kind, dann werde ich erwachsen und dann bin ich ein Häuptling. Richtig?“

„Ne, das eine sind Lebensalter, das andere ist eine Statusbezeichnung. Ein Häuptling ist der Chef zum Beispiel von den Indianern.“

„Der Papa ist auch ein Chef.“

„Ja, auf der Arbeit. Zu Hause ist die Mama die Chefin.“

„Was ein Quatsch du sagst, Oma. Der Papa hat gesagt zu Hause sind wir alle Chefs! Weil wir alle etwas wissen und zusammen wissen wir alles.“

Kluges Kind und eine ab und an in bequeme Schubladen sortierende Oma.

Sandmann


"Na, Kind, gut geschlafen?"

"Das Sandmännchen hat den Albtraumstein geklaut. Das Feuer und die Schlange haben sich dann mit den Händen an mir festgehalten. Geschlafen hab ich trotzdem gut."

"Du solltest mal mit dem Sandmann reden. Ich würde mir das nicht gefallen lassen. Der kann doch nicht einfach deinen Stein klauen."

"Sandmännchen haut man aber nicht Oma!"

"Sagt wer?"

"Ich. Und ich mach das, was ich von mir hör."


Zwei Tage später, nachdem wir immer wieder über Albträume gesprochen hatten:


"Oma, letzte Nacht war wieder ein Gespenst in meinem Traum."

"Und, was hast du gemacht?"

"Ich habe gesagt; Bitte, geh doch wieder."

"Und?"

"Du hattest recht. Es hat die Tür aufgemacht und ist verschwunden."

Rentiere


„Der Regenmann hat sich einfach wieder so reingeschlichen, Oma. Wir wollten doch auf den Spielplatz und du hast gesagt, es regnet heute nicht.“

„Stimmt, so ein verdammter Schlingel. Aber, bei dem Regen geh ich nicht auf den Spielplatz.“

„Wo ist denn nur die Schneekönigin. Du hast gesagt, sie kann den Regen in Schnee verwandeln. Und Schnee und Spielplatz geht. Wo ist sie nur?“

„Och, die Dame wird sich mit dem Herrn Lenz zu einem Schäferstündchen zurück gezogen haben.“

„Was haben denn Schäfchen mit der Schneekönigin zu tun, Oma? Du meinst bestimmt Rentiere. Rentiere sind doch keine Schafe.“

„Stimmt. Manchmal bin ich aber wirklich schusselig. Verwechsle ich doch Schafe mit Rentieren. Sowas aber auch.“

„Omaaaa.“

„Ja?“

„Wir könnten im Hof Fußball spielen.“

„Ja, mit Regenschirmen. Das kommt gut.“

„Dann sehen wir aber komisch aus. Aber, das macht ja nix. Der Herr Wind ist ja auch nicht da. Der ist bestimmt auch bei der Schneekönigin und den Rentieren. Deshalb fliegen wir auch nicht weg mit den Schirmen.“

„Jepp, lass uns kicken!“

Kindergeburtstag


„Oma, gehen wir jetzt auf den Kindergeburtstag?“

„Kind, es ist erst halb acht.“

„Oma, gehen wir jetzt auf den Kindergeburtstag?“

„Kind, es ist erst acht Uhr.“

„Oma, gehen wir jetzt auf den Kindergeburtstag?“

„Kind, es ist erst viertel nach acht.“

„Omaaaaa, gehen wir jetzt auf den Kindergeburtstag?“

„Kind, du fragst mich das jetzt seit heute Morgen alle paar Minuten. Der Geburtstag ist erst am Nachmittag!“

„Ist gleich Nachmittag?“

„Nein, das dauert noch eine lange Weile!“

„Bis dahin bin ich tot, Oma!“

„Frag mich mal, Kind.“

Klatschen


„Oma, es regnet!“
„Ja, Schatz.“
„Das war ich!“
„Was warst du?“
„Ich habe heute Morgen gesungen.“
„Ich weiß. Ganz Neuberg wurde wach davon.“
„So schön laut, ja.“
„Ja.“
„Und darum regnet es jetzt.“
„Ach?!“
„Ja, weil der Himmel kann ja nicht klatschen. Das wäre ja auch komisch. Darum schickt er Regen. Weil es ihm gefallen hat. Ist wie in die Hände klatschen. Nur eben himmelig. Klatscht halt auf dem Boden. Hörst du.“
„Na, denn. Dann solltest du wohl öfters singen.“
„Mach ich doch. Versprochen!“

Fantasie


„Ich habe Fantasie, Oma.“

„Weißt du denn, was das ist, diese Fantasie?“

„In meinem Kopf kann ich mir vorstellen, dass ich fliegen kann. Und hexen kann ich da auch. Das kannst du aber nicht sehen. Das ist Fantasie.“

Ich liebe dieses Kind.

Heiliger Geist


„Oma, Weihnachten ist wie Halloween.“

„Wie kommst du denn da drauf?“

„Na, dem Baby sein Vater ist ein Geist.“

„Aha.“

„Und der wohnt oben.“

„Wo oben?“

„Auf dem Dach.“

„Da zieht es doch.“

„Ne, der kuschelt sich an den Stern.“

„Ein Stern ist keine Sonne.“

„Wir könnten ihm ja einen Mantel schenken.“

„So einen halben?“

„Einen halben für den Geist und einen halben für das Baby.“

„Wenn du meinst.“

„Oder wir gehen auf den Flohmarkt und kaufen einen ganz Ganzen.“

„Auch eine Idee.“

„Oma.“

„Ja.“

„Das ist doch alles Quatsch.“

„Ach ja. Schnellmerkerin.“

„Ein Geist braucht doch gar keinen Mantel. Der ist doch durchsichtig und kann durch Wände gehen. Wenn dem kalt ist, dann kommt er einfach runter und legt sich neben die Heizung.“

„Dann ist doch alles in Ordnung.“

„Ja.“

„Na gut, kann ich jetzt Kaffee trinken und wach werden?“

„Klaro, Oma.“

Geburtstagskrönchen


„Da ich morgen Geburtstag habe, darf ich mir im Kindergarten ein Krönchen aufsetzen.“

„Oh, dann bist du morgen eine Königin?“

„Quatsch Oma, ich bin doch keine Königin, ich bin eine Kämpferin!“

„Ähm. Mit Krönchen?“


„Wenn Kämpferinnen gut kämpfen, dann bekommen die auch eine Belohnung. Der Onkel Saba hat ja auch so was. Das kann bei einer Kämpferin auch eine Krone sein, oder? Pokale auf dem Kopf, das wäre ja blöd.“

„Klar, vielleicht hast du die ja auch im Kampf der ollen, doofen Königin abgenommen. Manchmal müssen Königinnen auch ihre Krone verlieren. Oder ihren Kopf.“

„Den Kopf kann sie behalten, den brauch ich nicht.“

„Das ist aber lieb von!“

„Omaaaaaaa, wollen wir zusammen das Tierbuch angucken?“

„Ne, ich bin am Lesen und hab keine Zeit jetzt.“

„Aber morgen! Morgen musst du machen, was ich will, denn morgen habe ich die Krone auf und Geburtstag! Da müssen alle machen, was ich will!“

„Klar, wenn du das sagst. Pass dann nur gut auf deinen Kopf auf, Kind, pass gut auf ihn auf!“ *allerliebstlächelnd


„Oma, haben die Menschen auch Dinos gegessen?“

„Als die Dinosaurier auf der Erde lebten, da gab es noch keine Menschen.“

„Und wo kamen die Menschen dann her?“

Okay, es gibt so Fragen. Nachdem ich im Schnelldurchlauf die Evolution runterrasselte und das Kind mich nur mit einem völlig abgenervten Blick anschaute, war ich kurz, aber wirklich nur ganz kurz davor ihr die Geschichte mit der Rippe und dem Apfel hinzuwerfen. Ich glaube nun wirklich, dass dies der einzige Grund ist, warum sich diese Fabel so lange gehalten hat: Es ist eine so schöne, einfache, bequeme Antwort auf eine kindliche Frage.

Dinosprache

„Komm, wir räumen jetzt auf.“

KleinMadame murmelt irgendwas vor sich hin.

„Kind, kannst du nicht klar und deutlich sprechen?“

„Du hast dich geirrt, Oma. Das war kein Parasaurolophus, sondern ein Argentinosaurus. Das sieht man doch am Skelettaufbau.“

„Und was hat das jetzt mit dem Aufräumen zu tun?“

„Das ist aber viel wichtiger. Stell dir vor, du gehst aufs Feld und dann kommt da so ein Dino angerannt und du weißt nicht wie der heißt. Wie willst du dich denn da mit ihm unterhalten. Die sprechen bestimmt alle eine andere Sprache.“

„Die können alle Englisch. Punkt. Wir räumen jetzt auf!“

KleinMadame gibt komische Laute von sich.

„Kind, ich verstehe dich nicht!“

„Das war jetzt Englisch. Und du hast es nicht verstanden! Du musst jetzt Englisch lernen!“

„Nein, wir r ä u m e n jetzt auf!“

„Ich räume auf, Oma, und du lernst Englisch. Sonst kannst du nicht mehr aufs Feld gehen. Wegen der Dinos. Das ist gefährlich. Ohne mit denen reden zu können, ist es gefährlich!“

Okay, damit kann ich leben. 

Natürlich leben


„Natürlich leben. Das täte uns Menschen wieder gut!“
„So wie früher, meinen Sie?“
„Genau!“
„Pest und Cholera. Hungersnöte, Totgeburten, Lebenserwartung 35 Jahre. Läuse und Ratten. Die Straßen eine Kloake voll mir Krankheitserregern. Soll ich weiter machen?“
„Sie können einem aber auch jedes Frühstück verderben, Frau Müller!“
„Und Sie sollten Ihren Blick mal in die Zukunft richten und sich nicht in einer verklärten Vergangenheit verlaufen.“
„Jetzt mag ich nicht mehr mit Ihnen frühstücken.“
„Gut, dann reichen Sie mir mal ihr fertig belegtes Brötchen und gehen, ganz entsprechend des natürlichen Lebens, in den Garten und reinigen die versiffte
Biotonne von den tausend Maden.“

Kinderbilder


"Müssen Sie eigentlich, immer wenn es um Flüchtlinge und Migration geht, so herzzerreißende Kinderbilder mit hochladen, Frau Müller?"

"Ja, muss ich. Denn es geht ja um Kinder, die gerade elendig verrecken. Diese haben Namen und, aufgepasst!, Gesichter."

"Es nervt aber!"

"Schmeckt Ihnen dann Ihr Frühstück nicht mehr?"

"So ungefähr."

„Na sehen Sie, immerhin bleibt Ihnen beim Anblick der Kinder zumindest noch das Brötchen im Halse stecken. Es besteht Hoffnung. Eine klitzekleine zwar nur, aber immerhin. Immerhin."

Müll


„Wir produzieren einfach zu viel Müll!“

„Ach?!“

„Ja, da muss sich was ändern. Irgendeine Idee, Frau Müller?

„Wir könnten zum Beispiel aufhören unseren Müll zu exportieren und ihn stattdessen auf Müllhalden in den Gemeinden und Städten offen lagern. So direkt neben den superneuen Steingärten der Einfamilienhäuser oder in den gentrifizierten Stadtteilen. Da käme quasi, auf ganz unterschiedlichen Ebenen und in vielfältigen Formen, Leben in die Buden.“


„Du sagst, Geld mache nicht glücklich.
Du sagst, es käme im Leben auf ganz andere Dinge an.
Du sagst, du hättest dich nun entschieden mit ganz wenig zu leben und es gehe dir gut damit.
Du sagst all dies und noch viel mehr mit einem anklagenden Ton, so als wolle ich es nicht kapieren.
Du sagst dies alles so vorwurfsvoll, als sei ich deppert und stünde auf der Leitung.


Du, mein lieber Freund, übersiehst dabei etwas ganz Wichtiges:
Du hast dich entschieden! Du hast dich für Minimalismus, eine Form der modernen Askese, entschieden, nicht für Armut. Denn du warst niemals wirklich arm und wirst es niemals sein.
Deine Familie hat Geld und Firmen und Häuser. Du bist reich.
Hast du auf all das verzichtet? Hast du deinen Reichtum verschenkt?
Nein, du verzichtest nur auf einen bestimmten Konsum, wählst einen anderen Lebensstil.



Ich kann nicht wählen, denn ich bin arm.
Ich kann mich nicht entscheiden auf etwas zu verzichten, denn da ist nichts von dem ich mich lossagen könnte.
Ich kann mich nicht für deinen Minimalismus, deine Askese entscheiden, denn dein Minimalismus, deine Askese ist immer noch wohlhabender als mein tägliches Überleben.

Also komm mir nicht mit so einem Scheiß, mein Lieber!“




„Wie steht es denn so um Ihre Sexualität und Ihre Beziehungen, Frau Müller? Haben Sie noch klare Vorstellungen, Wünsche, Sehnsüchte? Immerhin sind Sie ja nun 63, da wird es doch wohl langsam etwas ruhiger werden, oder? Da wird man doch sicher großzügiger und dankbarer, wenn sich nochmal eine Chance auf Partnerschaft ergibt, oder?“

„Ähm.“

„Ist Ihnen die Frage zu persönlich? Als Therapeutin sollten Sie das ja locker beantworten können, oder?“

„Ähm.“

„Na? Und?“

„Allereigentlich geht Sie das einen Scheißdreck an.“


"Es ist so mutig, dass sich so viele Menschen, auch Promis, gegen die Hetze und Brandstifterei der AfD wenden!“

"Mutig? In der BRD? Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein!"

"Aber diese Menschen riskieren doch was!"

"Was denn? Ein bisschen Unbequemlichkeit? Einen kleinen Shitstorm? Ein paar Wählerstimmen? Den Unmut einiger Bekannten oder Fans?"

"Immerhin!"

"Nein, hier, in meinem Land, Haltung zu beziehen ist nicht mutig, sondern die Pflicht und das Recht eines Bürgers in einer Demokratie. Mutig ist es in einem Land Position zu beziehen, indem du für jedes kritische Wort um dein Leben fürchten musst. Mutig ist es, auf die Straße zu gehen, obwohl du weißt, dass du dort zusammengeschlagen und im Gefängnis landen könntest. Mutig ist es, wenn du deine Stimme erhebst, obwohl du weißt, dass du damit nicht nur dich selbst, sondern auch deine Familie lebensbedrohlich gefährdest. Mutig in Deutschland, weil man sich gegen ein Wiedererstarken von dumpf aggressivem Nationalismus und Rechtsextremismus wehrt? Komm mir nur nicht mit diesem Scheiß!"


„Spielen, Oma?“
„Nein.“
„Bütteeee!“
„Ist mir zu heiß.“
„Ich will aber!“
„Dann spiel doch. Ich will nicht.“
„Du bist gemein.“
„Okay.“
„Dann lieb ich dich jetzt nicht mehr!“
„Mach mal. Ich lieb dich.“
„Wenn ich dich nicht liebe, dann kannst du mich auch nicht lieben.“
„Doch, kann ich.“
„Das ist doch blöd!“
„Was?“
„Wenn ich dich liebe, dann liebst du mich. Wenn ich dich nicht liebe, dann liebst du mich auch.“
„Ja.“
„Richtig, richtig blöd!“
„Ne, das ist Liebe. Ist einfach so.“

KleinMadame grummelnd in der Ecke. War gespannt, was sie daraus machen würde.

Nächster Tag:

„Mein Bruder ist so anstrengend, Oma. Er macht mir als meine Sachen kaputt. Ich habe ihn dann halt nicht mehr lieb. Und manchmal muss ich ihn dann schubsen!“
„Ach?“
„Macht aber nix. Er liebt mich trotzdem.“
„Ja?“
„Und dann habe ich ihn auch wieder lieb. Weil er mich eben trotzdem lieb hat. Und er ist so süß, wenn ich ihn dann kuschele. Die Mama sagt, das sei normal, dass man sich streitet und doch liebt. Und die Mama hat immer recht, auch wenn sie nicht recht hat.“
„Wie kommst du denn darauf, dass sie immer recht hat?“
„Na, weil sie doch die Mama ist!“
„Mamas können sich auch irren, Kind.“
„Ich lieb sie aber trotzdem!“

Welch zorniger Blick.
Sie ist auf dem richtigen Weg. Eindeutig. 


„Sie sind doch eine Linke, Frau Müller!“

„Und Sie sollten endlich mal an der schon seit langem anstehenden Fortbildung teilnehmen. Käme gut.“

„Häh, welche Fortbildung denn?“

„Wie sortiere ich kompetent und zügig meine Ablage jenseits des alten Schubladensystems.“


„Das ist ein Schutzstein. Den trage ich immer in meiner Jackentasche.“

„Wie überraschend, Frau Müller. Ich wusste gar nicht, dass Sie auch eine esoterische Seite haben und mit Steinen arbeiten. Sehr schön!“

„Klaro, ich bin da ausgesprochen flexibel. Ich trage den bei mir, damit ich mit ihm, falls ich mich bedroht fühle, laut `Feuer, Feuer´ schreiend, die nächste Fensterscheibe einwerfen kann. Die Chance, dass dann jemand zur Hilfe herbeieilt, vervielfacht sich dadurch erheblich.“

„Oh, aber ich dachte.“

„Außerdem erhöht sich damit die Wahrscheinlichkeit, dass der/die vermutlichen Täter irritiert werden und zumindest kurz innehalten. Das gibt mir die Zeit, den Umständen entsprechend zu agieren.“

„Ähm, ich dachte, wir sprechen hier über Heilsteine.“

„Rauchquarz, leicht angeschliffen, mit scharfen Kanten. Schutzstein. Sonnenaufgeladen. Sagte ich doch. Präventionsmagie.“  


„Kommst du mit zur Klimademo?“

„Du weißt, dass ich von dem Klimakrisegedöns nicht viel halte.“

„Komm doch mit. Vielleicht lernst du was Neues.“

„Ne, lass mal. Ist auch viel zu heiß. Vierzig Grad. Tut mir nicht gut.“

„Ach?!“


„Überlebt!“

„Jetzt machen Sie mal nicht so einen Wind, Frau Müller!“

„Wind wäre gut jetzt und endlich Regen bitte!“

„Kommt schon noch.“

„Ich weiß nicht, ich weiß nicht. In der Nacht zeigte der Regenradar breite und dunkelblaue Flächen für heute und morgen. Jetzt sind da nur noch blassbläuliche Tüpfelchen zu sehen.“

„Optimismus!“

„Nun, mein positives Denken wurde heute Morgen schon schwer enttäuscht.“

Sie Arme, wer hat Sie denn so früh schon desillusioniert?“

„Sie! Die ganze Nacht tigerte ich durch die Wohnung. Überhitzt, schlaflos! Und was machten Sie? Sie schnarchten! Seit vier Uhr warte ich jetzt aufs gemachte Frühstück, aber Sie, Sie mussten ja erst ausgiebig duschen, um mir dann, ohne ein deutlich sichtbar schlechtes Gewissen, rüde mitzuteilen, die Kaffeesahne sei alle. Es trifft mich, es trifft mich wirklich tief.“

„Oh jeh, ich sehe schon, das wird ein schwieriger Tag für mich.“

„Tag? Woche! Mindestens. Aber sowas von!“